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7. März 2021 – Auf zum Markt


Wir stiegen auf die Sättel und durchquerten erst mal den schmalen Waldstreifen am Haus. Aber das hatte bereits was. Weiche Erde unter den Reifen, und man musste im Zickzack zwischen den Bäumen fahren – also mit einer gewissen Eleganz, einem gekonnten Schwung die Hindernisse bewältigen. Und dabei vorsichtig sein, einige abgebrochene Äste lagen herum, Baumwurzelstücke ragten aus dem Boden.
 
Vorsichtig sein sollte man ja immer, wenn man sich in die Natur begibt. Im Straßenverkehr sicherlich auch, aber das kennt man, Natur kennt man inzwischen nicht mehr so gut, denn da ist viel Unvorhergesehenes, es gibt keine Anweisungen und Warnungen durch Schilder, und durch Wind und Regen und Pflanzenwuchs verändert sich alles ständig. Aber es ist ein schönes Gefühl, aufpassen zu müssen unterwegs, sich zu konzentrieren, menschliche Instinkte zu spüren, ein bisschen wie früher, als man noch Jäger, Wanderer, Krieger war.
 
 
Nun der Weg über den Friedhof. Hier muss man nicht aufpassen, hier ist alles geordnet, der Boden glatt, die Toten liegen unter sauberen Steinen, umgeben von ausgesuchtem Grünzeug. Aber manchmal hört man über sich die wilden Schreie der Bussarde. Da ist man wieder konzentriert, da richtet man sich ím Sattel auf: Wo sind sie? Wo fliegen sie? Immer guckt man hoch, wenn man das Pfeifen und Fiepen dieser großen Vögel hört, man will ihre eleganten Flugbewegungen beobachten. Aber in gewisser Weise ihnen auch nahe sein, spürt das Wilde, das Ungebundene da oben, beneidet sie ein wenig, da man selbst auf der Erde vielen Zwängen unterworfen ist.
 
Wir durchquerten den Friedhof, fuhren langsam, stiegen auch mal ab. Auf einem Friedhof sollte man sich nur besonnen bewegen. Hier haben, so kommen einem unwillkürlich die Gedanken, die Geister der Verstorbenen das Sagen, man sollte sie nicht beunruhigen, das bringt Unglück.
 
Jenseits des Friedhofs die neue Siedlung. Nur Einfamilienhäuser. Sollte eigentlich nicht sein, hört man immer wieder, es gibt zu wenig Platz in der Stadt für die vielen Menschen. Mehrfamilienhäuser sind das Gebot der Stunde. Allerdings ist man, weit ab vom Straßenbahn- oder Zuganschluss, auf das Auto angewiesen. Tatsächlich kann man vor jedem Schlafzimmerfenster der kleinen Häuser einen schönen glänzenden Wagen stehen sehen, man hat den Eindruck, als wollten die Besitzer auch nachts ein Auge drauf werfen.
 
Hinter der Siedlung aber ein großer Spielplatz. Immer wieder blickten wir über den Zaun, als wir vorbeifuhren. Da war viel Bewegung, und Bewegung ist anziehend, vielleicht gerade, wenn Kinder spielen. Ein angeborener Instinkt, weil man den Drang hat, den Nachwuchs zu beschützen? Oder weil noch das Unschuldige, Ungebändigte bei den Kindern zu spüren ist, das Spontane, was einem als Erwachsenen ja allmählich abhandenkommt?
 
 
Über eine breite, neu angelegte Straße geht es geradeaus weiter auf einem breiten Radweg, man hat hier die Zeichen der Zeit erkannt, überlässt nicht mehr nur den Autos die Fläche. Und rechts eine weitere Siedlung, noch im Entstehen, die Häuser im Rohbau, aber hier mehrstöckig angelegt. Auch da viel Bewegung, man guckt dauernd hinüber, nicht nur wegen der Handwerker, die auf den Gerüsten herumturnen, sondern weil man die Veränderung dieser Grundstücke registriert. Vor gar nicht langer Zeit war da noch ein umzäuntes Wiesengelände, dann kamen die Bagger, man schachtete aus, Mauern wurden hochgezogen. Und in ein paar Wochen bereits wohnen hier Menschen, und Kinder spielen vor der Haustür.
 
 
Hinter der nächsten größeren Straße die Randzone von Sürth. Kein Fahrradweg mehr, aber die Strecke war nicht stark befahren. Bald mussten wir rechts abbiegen, hatten wir in Erinnerung – aber wo? Wer sieht zuerst die Abzweigung? Wer hat den schnelleren Blick, wer von uns beiden ist wacher, pfiffiger?
 
Ein Spiel, kein Wettkampf. Eine gute Möglichkeit, sein Gedächtnis zu schärfen. Und sich zu freuen, wenn man gewonnen hat. Vielleicht auch hier alte Instinkte: es kann wichtig sein, zu trainieren, um im Ernstfall möglichst schnell den richtigen Weg zu finden, um Gefahren auszuweichen.
 
 
Hinter den Häusern ein Kirchturm. Davor der uns vertraute Platz. Wie auf dem Friedhof herrschte auch hier eine angenehme Ruhe, eine fast feierliche Stimmung ist oft bei einer Kirche zu spüren. Das Gebäude selbst hatten wir noch nie betreten. Aber schon beim Anblick einer Kirche entstehen gewöhnlich Gedanken ans Jenseits, man stellt sich eine überirdische geistige Welt vor. Weil wir früher als Kinder oft Messen und Andachten besucht hatten und davon geprägt wurden? Oder sind das Ur-Instinkte bei jedem Menschen: Es muss da oben einen schönen Ort geben, an dem man nach einem oft beschwerlichen Erdenleben endlich glücklich und zufrieden sein kann?
 
 
Nicht weit hinter der Kirche endlich unser Ziel: der Markt in Sürth. Es gibt auch in Rodenkirchen einen, aber der in Sürth, so meinte Gaby, ist zwar kleiner, aber angenehmer, überschaubarer.
 
So ein Markt hat etwas Anziehendes. Die Waren sind zwar oft teurer als im Geschäft, aber sie liegen direkt vor dir an der frischen Luft. Man kann sie gleich anfassen und gefühls- und geruchsmäßig testen. Manchmal auch probieren. Man fühlt sich fast schon wie der Bauer selbst, der das alles gesät und nun geerntet hat und begutachtet. Jedenfalls hat man auf einem Markt oft auch den Erzeuger der Ware vor sich, kann sich mit ihm unterhalten. Ist er sympathisch, wird wohl auch seine Ware in Ordnung sein. Im Supermarkt spielt das Vertrauen zwischen Verkäufer und Kunden ja kaum eine Rolle.
 
Und so schlenderte Gaby über den Sürther Markt, ich schlenderte auch, aber blieb im Hintergrund. Die Frau macht das schon, kennt sich aus, sucht schon das Richtige, Passende aus – wohl die typische Männer-Haltung.
 
Tatsächlich machte es Gaby Spaß, sich hier auf dem Sürther Markt umzusehen, Sie nahm Möhren, Tomaten, den Kohlkopf in die Hand, befühlte, beschnupperte – und entschied.
 
Viel mehr Frauen als Männer warteten an den Ständen geduldig in der Schlange. Hatten Zeit, sich mit Bekannten zu unterhalten. Schließlich ist so ein Markt ja auch Treffpunkt. Man sieht sich, tratscht, tauscht Informationen aus. Seit es überhaupt Märkte gibt, dürfte das der Fall sein.
 
Wir kennen kaum Leute in Sürth, aber eben an diesem Markttag stießen wir auf Robert und Hanni. Wir fanden zwei freie Bänke und konnten uns in Ruhe unterhalten. Wir hatten die beiden lange nicht gesehen, früher fast täglich, dann, nach Umzügen, ganz selten.
 
Und, wir bemerkten, sie waren älter geworden, wie auch wir älter geworden waren. Robert musste sich sogar auf einen Stock stützen. Krebs, erfuhren wir, schon seit Langem, aber er rafft sich auf, freut sich über jeden Tag, an dem er noch draußen sein und mit Leuten reden kann.
 
Erinnerungen kamen hoch, alte Geschichten wurden neu erzählt, man erkundigte sich nach gemeinsamem Bekannten („Was macht der Georg? Ist Renate immer noch mit Peter zusammen?“).
 
 
Aber dann war es genug. Man hatte ja noch dies und das zu erledigen an solch einem normalen Werktag. „Vielleicht sieht man sich ja bald wieder. Bis dann!“
 
Gaby und ich schwangen uns auf die Sättel. Ich nicht so behände wie sie, denn in meinem Rucksack befanden sich Äpfel und Möhren und Rotebeteknollen und Bannen. Aber alles noch transportfähig. Und wir fuhren runter zum Rheinufer, und dann nach Norden auf dem Treidelpfad Richtung Rodenkirchen.
 
An der Fähre noch wie gewöhnlich eine kurze die Pause oben auf der Bank. Beobachteten Heiko, den inzwischen doch schon ziemlich gebückt daherschlurfenden Fährmann – immer auf dem zugigen Fluss unterwegs zu sein, hinterlässt eben Spuren. Er hatte jetzt keinen Dienst, stellte gerade auf seinem Wohnschiff Blumentöpfe auf, es war Frühling, die richtige Zeit, etwas Grünes in die Erde zu setzen und sich mit Buntem zu umgeben. Und auch Gaby sagte: „Nächstes Wochenende nehme ich auch so was mit vom Markt, - Primeln, Usambara-Veilchen, vielleicht Krokusse ...“
 
Wir brachen wieder auf, durchquerten die Wälder am Weißer Bogen.
 
Wir nahmen dann nicht den vorgezeichneten Radweg links, sondern blieben unten am Fluss. Fuhren dicht am Campingplatz vorbei. Der war zwar wegen Corona geschlossen, aber sofort kamen die Erinnerungen hoch.
 
Es war immer schön, die Leute da vor ihren Wagen zu sehen. Ihnen zuzugucken, wie sie im Grunde gar nichts taten. Saßen vor ihren kleinen oder großen oder sogar pompösen Wohnmobilen und schauten einfach so rum. Meistens durch den angrenzenden Zaun auf den vorbeifließenden Rhein. Was machen die nur den ganzen Tag, fragte man sich ständig. Schienen sich aber nicht zu langweilen, den Eindruck hatte man nicht. Taten das, was man eben so im Urlaub macht, was man ja gern in südlichen Urlaubsgebieten macht: sich mit Blick aufs Wasser zurücklehnen, je nach Tageszeit einen Kaffee, ein Bier, einen Wein trinken, zwischendurch ein bisschen mit der Frau, dem Mann plaudern (Kinder sah man auf diesem Campingplatz übrigens weniger). Oder man schlendert auch mal zum Nachbarn rüber, lässt sich über die Qualitäten seiner mit der neuesten Technik ausgestatteten Behausung informieren. Um dann sich wieder zurück zum Liegestuhl zu begeben.
 
Unwillkürlich trat man dann langsamer in die Pedale, wenn man an dem Campingplatz vorbeifuhr, versuchte instinktiv die lässige unangestrengte Haltung jener Freiluft-Liebhaber einzunehmen.
 
Dann ging es, am Ende des langen Zauns, links den Hang hoch. Wir bogen oben in die Moltkestraße ein, und bald öffneten wir die Wohnungstür.
 
 
Ich setzte Teewasser auf, Gaby holte die Blechschachtel mit den Biskuit-Plätzchen aus dem Schrank. „Zur Abrundung eines gelungenen Tages ist ein bisschen Süßes genau das Richtige“, meinte sie.
 
Kann man wirklich nichts gegen sagen.
 

© Bert Brune 2021.
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